Grenzen bedeuten wenig für Essen – oder für Menschen, die in ihrer Nähe leben. In vielen Grenzregionen überschneiden sich Familien und Traditionen, ebenso wie die Zutaten, die im gemeinsamen Klima und Boden gedeihen. Die Küche zeigt uns deutlicher als jede Landkarte, wie verbunden wir tatsächlich sind.
Begeben wir uns an die sonnenverwöhnte französische Riviera – die Côte d’Azur, die „Azurküste“. Diese atemberaubende Region ist bekannt für ihr mildes Klima und legendäre Städte: Nizza, Cannes, Antibes, Saint-Tropez und Menton. Nur eine kurze Fahrt östlich, jenseits der italienischen Grenze, liegt Ligurien, Heimat der Stadt Ventimiglia (was „zwanzig Meilen“ bedeutet).
Die meisten wissen, dass der Salade Niçoise aus Nizza stammt. Als er Ende des 18. Jahrhunderts erstmals auftauchte, war das Rezept einfach: eine Mischung aus Tomaten, Sardellen, Olivenöl und schwarzem Pfeffer. Doch direkt auf der anderen Seite der Grenze entwickelten die Italiener ihre eigene Variante: Condiglione (oder Cundigiun im ligurischen Dialekt). Ein Gericht, so köstlich, dass es bis nach Genua berühmt ist.
Der Name Condiglione hat einen interessanten Ursprung. Laut meiner italienischen Quelle stammt er vom Verb condire, was „würzen“ bedeutet (typischerweise mit Kräutern und Olivenöl). Die Nachsilbe -glione deutet auf Übermaß hin – man könnte es also frei als „reichlich gewürzt“ übersetzen. Und in der Tat: Dieser Salat ist alles andere als zurückhaltend.
Wie der Salade Niçoise hat auch der Condiglione kein einziges, festes Rezept. Manche sagen, es sei ein Gericht, das liebevoll von Mutter zu Tochter weitergegeben wird – aber in Wirklichkeit entstand es wohl eher als praktische Möglichkeit, frisches Gemüse aus dem Garten oder der Küche zu verwerten. Bauern aßen ihn schnell während einer kurzen Pause. Ligurische Frauen teilten ihn, während sie auf die Rückkehr ihrer Fischer warteten, und aßen gemeinsam aus einer einzigen Schüssel, der u grillettu.
Im Kern feiert der Condiglione den Reichtum des ligurischen Sommers. Tomaten, Gurken, rote Zwiebeln, grüne Bohnen, Paprika und manchmal Kartoffeln – was auch immer die terrassierten Küstengärten hergeben. Frisch gezupfte Basilikumblätter verleihen Duft, während der salzige Geschmack von eingelegten Sardellen und die süß-fleischigen Taggiasca-Oliven Tiefe und Fülle bringen. Das Finale: ein großzügiger Schuss extra natives Olivenöl.
Die Menschen in Ligurien sind so leidenschaftlich in Bezug auf ihren kräftig gewürzten Salat, dass es sogar ein Sprichwort dazu gibt:
„Non mi fido di tre cose: condiglione senza condimento, bella donna civettuola, contadino senza tridente.“
Auf Deutsch:
„Ich traue drei Dingen nicht: Condiglione ohne Würze, einer koketten schönen Frau und einem Bauern ohne Mistgabel.“
Ein Salat, ein Sprichwort, eine Geschichte gemeinsamer Kultur. Das ist die Schönheit der Grenzküche.